Der einheimische Vollblut-Biker und Trailbauer
Pirmin Kündig lebt seit acht Jahren in Engelberg. Im Winter arbeitet er bei der Pistenrettung. Im Februar hatte ich ihn zuletzt getroffen. In ein paar freien Stunden hatten wir am Jochstock ein paar schöne Lines in den Tiefschnee gezogen. „Im Sommer geht das fast genauso gut“, hatte er damals während der Fahrt im Sessellift beiläufig bemerkt. „Wie bitte?“ – „Komm’ in ein paar Monaten wieder, dann zeig’ ich Dir, was ich meine“, hatte er gesagt. Da bin ich nun. Noch ein bisschen skeptisch, aber bereit, mich darauf einzulassen, den Flow wie beim Pulverfahren auch bei 20 Grad und Sonne zur erleben.

„Naja, das war jetzt wie auf einer Skitour“, sagt Pirmin. „Earn your turns ... aber die nächsten Kilometer ist erst einmal entspanntes Kurbeln angesagt.“ Er muss es wissen. Die Trails zwischen dem Engelbergertal und dem Melchtal kennt er wie seine Westentasche. Und an einigen hat der 28-Jährige selbst mitgebaut. „Da haben wir die vergangenen Jahre viel Herzblut hineingesteckt“, erzählt er, während wir den kleinen Anstieg zum Tannensee hinauf treten. Im Winter sind die Abfahrten rund um Engelberg unter Freeridern längst legendär: Laub, Titlisrunde, Galtiberg, ... und, und und. Verglichen damit, hat die Entwicklung des Mountainbikens in der Region gerade erst angefangen. Doch ein detaillierter Blick auf Gelände und Infrastruktur zeigt: gerade für Enduro-Biker, die gerne auch mal den Lift benutzen, hat das Gebiet zwischen Melchsee, Jochpass und Trübsee eine Menge Potenzial.

Es ist geplant, den Flow-Trail bis nach Engelberg zu verlängern
Im Sommer 2017 rückten die Schweizer Trailbau-Experten von „Trailworks“ an. Zu ihren Erfolgsprojekten zählen der Bikepark Lenzerheide sowie die dortigen Worldcup Cross-Country- und Downhill-Strecken. Ihre Mission: der Bau eines neuen Flowtrails vom Jochpass zum Trübsee. Pirmin, der sich seit vier Jahren im Sommer als Trail-Shaper um die Bike-Strecken rund um Engelberg kümmert, durfte da als lokale Unterstützung nicht fehlen. „Nachdem der Streckenverlauf mit einem geländegängigen Bagger grob modelliert war, arbeiteten wir mit Spitzhake und Rechen die groben Steine raus. Dann trugen wir eine Schicht feinen Split auf und verdichteten ihn mit der Rüttelplatte. Schließlich soll der Trail dauerhaft halten und auch bei sommerlichen Gewittergüssen nicht weggespült werden“, erzählt Pirmin. Von Juli bis Mitte Oktober dauerten die Bauarbeiten. Und stolz schiebt Pirmin hinterher: „Eine richtig spassige Line – wir werden sie gleich noch testen.“

Während mir in Aussicht auf diesen Bike-Leckerbissen bereits das Wasser im Munde zusammen läuft, erreichen wir das nächste Highlight der Tour. Den funkelnden Tannensee. Etwas oberhalb liegt die Alpkäserei Tannalp. „Dort gibt’s ganz spezielle Schmankerl“, grinst Pirmin. Auf Tannalp wird der Käse noch so hergestellt wie vor Jahrhunderten. Drinnen hat der Käser bereits das Feuer im Holzofen angeschürt. Drüber hängt ein mächtiger Käsekessi, in dem aus Milch und Laab langsam eine zähe Masse wird, die später in entsprechenden Formen im kühlen Keller zu Laiben reifen wird. 

Weiter geht’s zum Engstlensee. Die Sonne brennt vom Himmel. Jetzt eine kleine Abkühlung! Also los: „Eins, zwei, drei ...!“ Ohhh, verdammt frisch! Kein Wunder, denn gespeist wird der See von Bächen aus den Flanken des Jochgletschers. Oft taut das Eis auf dem See erst im Juni“, sagt Pirmin. Es überrascht also nicht, dass sich Forellen und Saiblinge in dem kühlen Nass wohler fühlen als überhitzte Biker. Angler kommen hier selbst im Winter zum Eisfischen her. Wer sich für Fisch weniger begeistert, findet in der Käserei Engstlenalp eine deftige Stärkung. 100 Laibe Berner Alpkäse werden hier oben jeden Sommer produziert, jeder davon acht bis zehn Kilogramm schwer. Dazu 1000 Kilo Alpbutter, 4000 Kilo Alpmutschli und 500 Kilo Ziger. 

Hinterm See steigt das Gelände wieder an. Hinauf zu Jochpass. Die 300 Höhenmeter schweben wir hinauf – mit dem Sessellift. „Zeit für eine kleine Stärkung“, meint Pirmin oben. Im Bärghuis serviert Erwin Gabriel „Urner Häfelichabis“, einen traditionellen Eintopf aus der Region mit Schaffleisch, Weisskabis, Rüben, Zwiebeln und Kartoffeln. Das Bärghuis Jochpass ist nicht nur eine bike-zertifizierte Unterkunft, hier ist auch der Chef höchstpersönlich mit dem Bike-Virus infiziert. Auf Eigeninitiative und selbst finanziert, hat Erwin hier mit seinem slowenischen Downhill-Freund Janez Grasic den ersten Trail gebaut. Aus einem alten Wanderweg wurde der „Trudi-Trail“, benannt nach Erwins Frau Trudi, die sich genauso gerne in den Bikesattel schwingt wie er selbst. „Das ist die schwierigere Variante runter zum Trübsee“, verrät der 58-Jährige. 

Ab Sommer 2018 - Voll der Flow auf dem Jochpass Trail
„Komm’, jetzt zeig’ ich Dir meinen neuen Spielplatz“, meint Pirmin nach der Einkehr. Und schon legt er sein Bike in die erste Kurve des Jochpass Flowtrails. Pirmin hat nicht zu viel versprochen: Wie im Winter, wenn Geländeformen, Wechten und Kicker zum Spiel mit der Schwerkraft locken, lädt der Flowtrail zum geschmeidigen Surfen auf dem Bike ein. Auf 400 Tiefenmeter und fünf Kilometer wechseln Anliegerkurven, Roller und Sprünge. Dabei ist der Kurs so angelegt, dass auch Einsteiger und Kinder zurechtkommen. „Was nicht heisst, dass Cracks hier keinen Spaß haben“, wirft Pirmin bei einem kurzen Stopp auf halber Strecke ein. „Wie auf Ski steigen die Anforderungen mit der Geschwindigkeit.“ Vollgepumpt mit Glückshormonen, ist nach dieser Achterbahnfahrt eines klar: „Nochmal!“ Im Nu geht es mit dem Jochpass-Sessellift wieder nach oben. „Wir wollen dieses Flow-Gefühl noch vervielfachen“, verrät Pirmin. Geplant ist eine Erweiterung des Flowtrails um weitere 700 Höhenmeter bis hinab nach Engelberg. Doch es gibt noch eine weitere Alternative. Die ist schon fertig gebaut: Auf dem Rückweg wartet der Hells-Bells-Trail vom Jochpass runter zum Engstlensee. „Keine Angst ...“, beruhigt Pirmin, „... klingt wilder, als er wirklich ist.“ Auch dieser Bike-Trail bietet jede Menge Flow – höllisch schön!

Autor

Text: Christian Penning

Bilder: Oskar Enander