Walenstöcke umrunden

Um die 7 Stöcke musst du gehn…

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die wildlebenden Huftiere in der Schweiz dermassen stark gejagt, dass Rothirsch und Steinbock in der Schweiz als vollständig ausgerottet galten. Damit sich die Wildtierbestände erholen und die ausgerotteten Tiere wieder angesiedelt werden konnten, wurden Ende des 19. Jahrhunderts eidgenössische Jagdbanngebiete geschaffen. Das Jagen war in diesen Gebieten fortan verboten. Heute haben die Jagdbanngebiete den Charakter eines Naturparks. Zwei dieser geschützten Zonen sind rund um die Walenstöcke. Eine eindrückliche Wanderung führt mitten durch die atemberaubenden Faunaschutzgebiete.

Seit 1952 erschliesst eine Luftseilbahn die sonnige Terrasse „Brunni“ oberhalb von Engelberg. Die heute hochmoderne Luftseilbahn bietet Platz für 65 Personen und ermöglicht es, gleich zu Beginn die Kräfte für die Wanderung zu schonen und 600 Höhenmeter bequem zu überwinden. Der Sessellift Ristis-Brunnihütte kann weitere 230 Höhenmeter abnehmen. Die Nutzung der Transportanlagen soll gut überlegt sein, denn die Umrundung der Walenstöcke ist ein anstrengendes Unterfangen: Die Wanderzeit für die 25 km lange Strecke beträgt eigentlich 8.5 Stunden und es werden je 1‘435 Höhenmeter auf- und abgestiegen. Die Wanderung kann alternativ auch als gemütliche Zweitagestour gemacht werden, sechs Übernachtungsmöglichkeiten gibt es entlang der Tour. Mit etwas Ehrgeiz und einem hohen Schritte-Takt ist die Umrundung auch in 7 Stunden zu schaffen.

Im Sommer befördert die Luftseilbahn Engelberg-Ristis bereits um 7.30 Uhr die ersten Wandervögel hinauf auf 1605 m. Am liebsten würde man beim Anblick des Engelberger Bergpanoramas mit den mächtigen 3000er innehalten und auf der Sonnenterrasse des Berglodge Restaurants Ristis einkehren, doch die Berge rufen und in der morgendlichen Frische tragen einem die Füsse den sanften Anstieg zur Rigidalalp wie von selbst hinauf. Es zeigt sich, dass die Verlockungen auf der Umrundung gross sind, denn auch beim Älplerbeizli Rigidal, nur 30 Minuten weiter, könnte man es sich gut gehen lassen. Doch nach einem spritzigen Aufstieg taucht man ins eidgenössische Jagdbanngebiet ein. Rechts öffnet sich der Blick in die Tiefe: „Ende der Welt“ heisst es dort unten. Angesichts der hohen Felswände rund um den Talkessel scheint dort unten aus der Froschperspektive tatsächlich die Welt zu Ende zu sein. Hier oben hingegen eröffnet sich eine neue Welt mit einem Hochplateau dem ersten Etappenziel am Horizont: Die Rugghubelhütte SAC auf 2‘290 m.ü.M.. „Das sind höchstens noch 20 Minuten“, denkt man bei sich, doch die Rugghubelhütte wird immer grösser und man kommt ihr irgendwie nicht näher. Als Opfer einer optischen Täuschung freut man sich dann nach insgesamt 2.5 Stunden Aufstieg besonders über die erste grosse Pause der Umrundung. Hüttenwart Chrigel Menon und sein Team sorgen für das leibliche Wohl, während man den drolligen Murmeltieren rund um die Hütte zusehen kann. Auch Gemsen und Steinböcke sind mit einem geübten Auge zu erblicken, Jagdbanngebiet sei Dank.

Von der Terrasse der Rugghubelhütte lassen sich die Gebirgsformationen studieren, welche der guten Thermik wegen von Bartgeiern und Gleitschirmfliegern gleichermassen für Streckenflüge geschätzt werden. Die meisten der 7 sichtbaren Gipfel sind oben flach. Es sind daher keine „Hörner“, sondern „Stöcke“. Denn Formationen mit flachen Gipfelplateaus und wenig ausgeprägten Hauptgipfeln lauten auf Stock: Walenstock, Rigidalstock (übrigens eine spannende Klettersteigtour), Ruchstock, Scheyeggstock, Laucherenstock, Hasenstock und fast wie geköpft, der Sättelistock. Ausnahmen bestätigen die Regel, denn wenn der Blick weiter Richtung Osten schweift, erfasst er eine rote Pyramide, wie sie die Ägypter nicht besser hätten bauen können: Der Engelberg Rotstock (2‘818 m.ü.M.). Wenn man noch 1.5 Stunden für einen steilen Auf- und Abstieg anhängen würde, hätte man einen phänomenalen Rundblick in die Urner Alpen. Für die Ein-Tages-Tour ist dies jedoch zu viel und daher geht es vor dem 8. Stock nur aufs Rot Grätli (2‘559 m.ü.M.), hinter welchem sich auch im Hochsommer noch grosse Schneefelder verstecken. Eine schnelle Rutschpartie erleichtert den Abstieg. Nun führt ein leichtes Auf und Ab durch schöne Alpwiesen, bis man von der Bannalper Schonegg (2‘250 m.ü.M.) weit unten den idyllischen Bannalpsee erblickt. Dort biegen wir in den Walenpfad ein, eine der schönsten Höhenwanderungen der Schweiz. Bereits beim Walegg (1‘951 m.ü.M.) weiss man auch warum: Die Sicht hinunter ins tief in die Berge eindringende Engelbergertal, zum kleinen Stanserhorn und zum Vierwaldstättersee ist ehrfürchtig. Entlang des Walenpfads gibt es fast stündlich Einkehrmöglichkeiten in urchige Alpbeizli. Durch einen Hochgebirgswald erreicht man Rosenbold (1‘865 m.ü.M.), wo man wieder die gleichen majestätischen Berge wie zu Beginn der Tour erblickt. Nun ist es nicht mehr weit bis zum Berglodge Restaurant Ristis. Seit August 2016 kann man dort übrigens in einem der 7 Zimmer mit insgesamt 41 Betten übernachten.

Autor

Text und Bilder: Thomas Küng